Satire in Mittelalter und Renaissance
Erst die Entwicklung des modernen Individualismus in der italienischen Renaissance brachte als Korrektiv die „moderne“ Satire hervor: der Witz wird zur Waffe. Burckhardt bezeichnete das Italien des 15. Jahrhunderts als „eine Lästerschule (…), wie die Welt seitdem keine zweite mehr aufzuweisen gehabt hat“ (Die Cultur der Renaissance, 1860). Die Bandbreite der satirischen Schriften Italiens reichte von den Lustspielen der Commedia dell’arte bis zum gelehrten Witz, den facetiae, die von Philologengesammelt und analysiert wurden.
Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen stand in hoher Blüte; der Witz etwa eines Teofilo Folengo oder eines Pietro Aretino war berüchtigt. Der vielseitige Aretino schrieb Komödien, die das aristokratische Leben in Rom verspotteten. In seinen fast 3000 Briefen und vermischten Schriften übt er seine Kunst, spontan – oft auch opportunistisch – zu jedem beliebigen Gegenstand eine spitze Bemerkung zu formulieren, besonders gegen alles Pedantische und Pathetische.
In Deutschland lag die Situation anders. Die Satiren des Humanismus gehören meist zur Gattung der Narrenliteratur. Fast bruchlos stehen Sebastian Brants Narrenschiff (1494) und Erasmus von Rotterdams Lob der Torheit (1509) und Julius vor der verschlossenen Himmelstür (1514) in der Tradition des Mittelalters; sie sind hauptsächlich auf die humanistische Kritik von Sitten und Untugenden der Zeitgenossen gerichtet, die sie mit didaktischer Strenge zu verbessern trachten. Besonders das Narrenschiff fand in lateinischer Übersetzung[4] in ganz Europa Leser und Nachahmer.
Die Volksbücher Till Eulenspiegel (circa 1510) und Die Schiltbürger (1598) folgten einer anderen Tradition: der des Hofnarren oder Schelmen, der Streiche spielt. Auf Bühnen und bei Volksfesten findet sich politischer Spott gegen Herrschende und Beherrschte in Fastnachtsspielen und Burlesken. Auch einige satirische Passionsspiele sind erhalten.